Eugenie Marlitt

Das Heideprinzeßchen

Leipzig: Ernst Keil Nachfolger, 1872

(Ausschnitt aus Kapitel 1, S. 7-10, Übung zur Frakturschrift und zum Text)

Es war in den letzten Tagen des Juni.

In dem kühlen Wasser des kleinen Beckens standen ein Paar brauner Mädchenfüße. Zwei ebenso sonnverbrannte Hände zogen das schwarze grobwollene Röckchen fest und vorsichtig um die Kniee, während sich der Oberkörper neugierig vornüber bog. Schmale, mit weißen Linnen bedeckte Schultern und ein junges, braun angehauchtes Gesicht - in der That, es war wenig und winzig genug, was der Fluß zurückwarf; immerhin - den zwei Augen im Wasser war es sehr gleichgültig, ob das Gesicht, in welchen sie saßen, griechische Regelmäßigkeit oder den Hunnentypus zeigte. Hier auf dem einsamen Fleck der Heide gab es keinen Maßstab für weibliche Schönheit, keine Anregung zum Vergleich; nur daß alles, was im unverfälschten Tageslicht "natürlich"und altgewohnt erschien, aus dem Wasserspiegel so fremd heraussah, das machte ihn verlockend.

Draußen im Sonnenschein, im sausenden Heidewind flatterte das ziemlich kurz verschnittene Lockenhaar lustig um die Stirn und Nacken - hier unten wurde es zu schwer niederhängenden Rabenflügeln, unter denen hervor die kleinen, roten Glasperlen der Halskette wie dunkelglühendes Blut tropften, und das grobe derbe Leinenhemd gar leuchtete geschmeidig und seidenweich, als schwimme eine einzige große, schneeweiße Glockenblume drunten im Wasser - es verwandelte sich eben alles wie in der allerschönsten, alten Zaubergeschichte.

Meist füllte ein Stück dunkler Himmelsbläue die Bresche der Büsche, das gab der Wasserfläche eine harte Stahlfarbe und dem Mädchenbilde einen eintönigen Hintergrund. In diesem Augenblick jedoch liefen plötzlich glühende Dunstgebilde über den Spiegel - es war unglaublich, aber trotz allem dem quollen sie unmittelbar aus den Haarspitzen des Lockenkopfes. Das kämpfte durcheinander und glühte immer höher auf, als solle allmählich die ganze Welt von Purpur triefen. Nur das heimliche Düster um die Wurzeln des Buschwerks vertiefte sich zur finsteren Höhle, aus der einzelne Zweige wie schwarze Stalaktitenzacken in das schwimmende Feuer hineinragten - eine neue, blitzschnelle Wendung der alten Zaubergeschichte. Aber sie erzeugte einen heillosen Schrecken. Nahm doch selbst der Schatten, den das vorgeneigte Mädchen warf, Brunnentiefe an, aus der herauf zwei übergroße, entsetzte Augen glitzerten.

Die braunen Füße gehörten zu keiner Heldenseele; mit einem wilden Satz sprang sie an das Ufer - welch eine lächerliche Flucht! Draußen über der Heide enzündete sich der Abendhimmel in roten Flammen, eine feurige, sanft zerfließende Wolke zog über die Bresche hin, das war der gespenstige Nimbus - und die Augen? Hatte wohl die Welt solch einen Hasenfuß wie mich gesehen? Solch ein kindisches Ding, das vor seinen eigenen Augen davonlief?

Zunächst schämte ich mich vor mir selber und dann vor meinen zwei besten Freunden, die Zeugen gewesen waren.

Meine gute Mieke zwar hatte sich nicht weiter stören lassen - sie war der weniger intelligente Teil. Die schönste schwarzbunte Kuh, die je über die Heideflächen gelaufen, stand sie breitspurig unter der Birke und riß und zupfte schwelgend an dem Grase, das der feuchte Uferboden in einem dünnen Streifen emportrieb. Sie hob den langen, schmalen Kopf, kaute mit unverkennbarem Appetit weiter an den fetten Halmen, die ihr zu beiden Seiten des Maules niederhingen, und sah nur einen Mment dummverwundert nach mir hin.

Spitz dagegen, der sich faul und schläfrig unter das kühle Gebüsch geduckt hatte, nahm die Sache tragischer. Er fuhr wie besessen in die Höhe und bellte in das zurückklatschende Wasser hinein, als sei mir der böse Feind auf den Fersen.

Er war nicht zu beschwichtigen; die Stimme sprang ihm über vor Alteration und Kampfeswut und das war urkomisch. Lachend sprang ich in das Wasser zurück und sekundierte ihm, indem ich mit beiden Füßen den lügnerischen Spiegel in hochaufspritzende Atome zerstampfte.

Es war aber noch ein dritter Zeuge zugegen, den weder ich noch Spitz bemerkt hatten.

"Nu, was macht denn mein Prinzeßchen da?" fragte er in jenen knurrenden, halbzerissenen Tönen, wie sie aus einem Munde kommen, dem die unzertrennliche Tabakpfeife wie festgemauert zwischen den Zähnen sitzt.

"Ach, du bist's, Heinz?" - Vor dem schämte ich mich nicht, er lief selber wie ein Hase vor allem, was nicht ganz geheuer. Freilich, das glaubte keiner, der dies alte, gewaltige Menschenkind sah.

Da stand er, Heinz, der Imker, auf Sohlen, so massiv und wuchtig, daß sie den Erdboden schüttern machten. Sein Scheitel rührte an Aeste, die für mich himmelhoch hingen, und der breite Rücken verschloß en Ausblick auf die Heide so vollkommen, als habe sich plötzlich eine Granitwand zwischen die Außenwelt und meine kleine Person geschoben.

Dieser Riese gabe Fersengeld vor dem ersten besten weißen Laken im dämmernden Zwielicht - und das machte mir Vergnügen. Ich erzählte ihm so lange haarsträubende Sagen und Spukgeschichten, bis mir selber eine Gänsehaut überlief, und ich allen Mut verlor, auch nur in den nächsten dunklen Winkel zu sehen - wir fürchteten uns prächtig um die Wette.


Übungen:

  1. Klicken Sie für einen Vergleich mit dem Original auf Seite 7 und dann auf die Seite selbst, um sich an die Frakturschrift zu gewöhnen.
  2.  


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